Ein Brief aus Wetherby im Jahr 1857

Wetherby, im Frühjahr 1857

Dear Maureen

Welch Freude und Zufriedenheit mir Dein Brief, an einem schönen Tage gebracht hat, kann ich Dir gar nicht genug ausdrücken. Nun ist es schon eine Weile her, dass Du diesen geschickt hast und erwartest sicher eine Antwort von mir. Es ist sicher bald 30 Jahre her, dass Du hier warst. Lass mich Dir von den Veränderungen in Wetherby erzählen.

Heute war wieder so ein blauer Frühlingstag. Alles fühlte sich ganz frisch an, als ich mit dem Einspänner Richtung Wetherby fuhr. Dass sie die jahrhundertealte Brücke erweitert haben, freut mich immer noch sehr. Von Weitem kann ich schon den Schornstein der Brauerei sehen und von der Brücke den Betrieb der Kornmühle am River Wharfe. Welch eine schöne Aussicht auf die Stadt. Blüht doch alles in bunten Frühlingsfarben auf den Rabatten. Die ersten Schmetterlinge konnte ich heute zwischen den Blüten schwirren sehen.

Erinnerst Du Dich an den Rindermarkt in der Victoria Street? Der ist inzwischen viel grösser geworden. Rinder stehen jetzt schon in der High Street, so dass ich einen Bogen um sie fahren muss. Molly, meine Stute, ist aufgeregt und äppelt gleich auf der Strasse. Vom Farmer Joe kommen gleich seine Jungs und heben alles auf. Ist wertvoller Dung. Sie versteigern das Recht zum Aufsammeln des Kuh- und Pferdemistes immer am Anfang des Jahres. Bleiben die Gassen damit recht sauber. Was für eine gute Idee das doch ist!

Vor dem Angel Inn Hotel steht die Postkutsche bereit zur Abfahrt. Sie kommen jetzt zwei Mal am Tag. Die Boys mit den schwarzen Hüten haben beim Aufladen von Koffern viel zu tun. Es sieht so aus, als ob eine reiche Lady mit auffallend grossem, schwarzen Hut mit Fasanenfedern weiter Richtung York fährt. Vielleicht will sie aber auch nach Edinburgh. Wusstest Du, dass Wetherby genau in der Mitte zwischen London und Edinburgh liegt? Hier im Angel werden die Pferde gewechselt. Manchmal auch die Kutscher. Die sind hier gut ausgestattet mit den Stallungen und Unterkünften. Die Postgesellschaften nutzen das.

Fahre weiter zum Swan & Talbot. Glaube, dass ist einer der ältesten Pubs hier. Wetherby zählt inzwischen 35 Pubs, welche alle von der Brauerei beliefert werden. Im Swan & Talbot hat es für mich die beste Unterkunft für Molly und die kleine Kutsche. Sie haben hier Platz für ungefähr 40 Pferde. Geniesse auch heute wieder hier ein kleines Frühstück. Ist gemütlich in den Räumen vom Inn. Sie haben immer wieder mal Gäste von der Rennbahn zu Besuch. Am Wochenende, sagen sie, ist wieder Rennbahntag, da wird es voll.

Ich trete aus der Tür ins Sonnenlicht auf die High Street. Von Ferne höre ich den Zug. Zehn Jahre haben wir nun eine Zugverbindung. Am Anfang brachten sie nur Güterzüge, um uns mit Waren aller Art zu beliefern. Tee, Kaffee, Schokolade sowie Früchte und Gemüse werden angeliefert. Seit neuestem kommen auch Personenzüge. Die Bahn ist viel schneller und bequemer als die Postkutsche. Eine grosse Konkurrenz kann ich Dir sagen. Die Postkutschen sind leerer inzwischen und sie reden darüber einige einzustellen.

Zu Fuss gehe ich in Richtung Zentrum. Ich mache den Schlenker über das gegenüberliegende Kirchengelände. Da ist es immer sehr ruhig. Ich freue mich, dass wir seit 15 Jahren eine richtig grosse Gemeindekirche haben. Erinnerst Du Dich noch an die kleine Kapelle in der Stadtmitte? Leider sind wir immer noch der Kirche von Spofforth zugeordnet. Dabei ist unsere Stadt viel grösser!

Ich laufe durch die Church Street zum Marktplatz. Die kleinen Läden haben sich gut weiterentwickelt. Wer hätte das 1824 gedacht, als der Duke of Devonshire die ganze Stadt verkauft hat? Wer wusste damals schon, dass dem nicht nur alle Gebäude gehört haben sondern auch alle Ländereien. Ich war damals noch ganz neu als Angestellter in der Bank. Heute darf ich Dir verraten, dass er über £ 250’000 eingenommen hat. Ob er das wirklich für die Arbeiten in Chatsworth genommen hat? Hier wird gemunkelt, dass er das für seine Spielschulden brauchte. Wir mussten viele Kredite vergeben, damit die damaligen Pächter ihre Läden oder Inns kaufen konnten. Die meisten haben es geschafft und haben die Stadt zum Blühen gebracht.

Dank unserer Queen Victoria stehen wir wirtschaftlich sehr gut da. Unsere Stadt bietet Dir inzwischen alles: Hutmacher, Sattler und Geschirrmacher, Schmied, Korbmacher, Kornhändler, Apotheker, Friseur, Tuchhändler, Eisenmacher, Schreiner, Schneider und die vielen Pubs und Inns. Seit neuestem haben wir eine eigene Zeitung: Wetherby News. Der alte Crossley hat das eröffnet. Bin gespannt, ob sich das über die Jahre halten wird.

Jetzt stehe ich vor der neuen Town Hall. Sie ist gerade eröffnet worden und macht uns alle ganz stolz. Zwei-stöckig mit Gemeinde- und Gerichtssaal und Räumen für die Schulkinder. Ich fühle mich richtig wie in einer Stadt. Die kleine dörfliche Gemeinde, die wir vor ein paar Jahrzehnten noch waren, hat sich in eine moderne Stadt entwickelt. Die Shambles mit den Schlächtern wird zu anderen Läden umgebaut. Heute ist Markttag und um die Town Hall gruppieren sich die Stände. Frisches Obst und Gemüse wird angeboten, aber auch Korbwaren und frisches Brot und Pies. Du siehst alle möglichen Leute hier, von Bauern bis zu Bänkern. Man grüsst sich, denn wir kennen uns meistens untereinander.

Die Kinder spielen auf der Strasse im Sand. Zwei berittene Polizisten kommen die Market Street entlang. Wir haben seit kurzem eine Police Station in der Stadt. Vor dem Black Bull Inn liegt ein Betrunkener halb in der Eingangstür und schläft seinen Rausch von der letzten Nacht aus. Einer der Polizisten steigt von seinem Ross herab und weckt ihn mit einem Fusstritt in die Seite. Ich kann nicht verstehen, was sie sagen, aber der Mann steht letztendlich unbeholfen auf und macht sich auf den Weg, vermutlich nach Hause.

Wenn Du abends durch die Stadt läufst ist es jetzt nicht mehr so dunkel wie früher. Seit gut zehn Jahren haben wir den Gasometer und damit die ersten Gaslaternen in der Stadt. Die Inns haben sich schon früh an das Gasnetz angeschlossen. Über den Eingängen hängen Gaslaternen und im Hotel haben die Gästezimmer auch schon Gasbeleuchtung.

Muss jetzt in die Bank. Erwartet mich doch ein langer Tag in der Schreibstube.

Grüss doch gelegentlich Mr und Mrs Smith von mir. Bleib gesund, lebe wohl und lass mich hören, dass Du wohl bist.

Dein Cousin James

Wetherby Today

Wetherby ist eine lebendige Kleinstadt, die in der Mitte zwischen Leeds und York, direkt am River Wharfe liegt.

Die Brauerei und die Kornmühle direkt am River Wharfe gibt es leider nicht mehr. Ein grosses Zahnrad am Ufer neben dem Wehr erinnert an die alten Gebäude, wo jetzt moderne Wohnhäuser stehen. Von der alten Brücke sieht man noch die Brückenpfeiler der alten mittelalterlichen Brücke aus dem Jahr 1233. Ein Spazierweg führt unter der Brücke entlang.

Kommt man über die Wetherby Bridge in die Stadt wird jeder von einem grossen Blumenbeet begrüsst, betreut von den Freiwilligen von ‚Wetherby in Bloom‘. Die Anlage wird kontinuierlich bepflanzt und lädt oberhalb mit Bänken zum Ausruhen ein.

Mit ihren vielen kleinen lokalen Shops lädt die Stadt zum Bummeln, Stöbern und Entdecken der alten Geschichte ein. In der alten, kleinen Church Street am Marktplatz bekommt man z.B. guten Käse bei The Artisan Cheese Company. Gegenüber gibt es ausgewählte Schokoladen bei C’est Chocolat. Wer günstig beim Thailänder essen möchte, wird bei YumYum gut bedient.

Die alten Shambles am Markt waren ein Platz für Schlachter. Sie finden sich mit gleichem Namen auch in York. Inzwischen sind dort kleine Läden und Cafés untergebracht. In einem der Pubs oder Cafés im Ort kann man gut eine kleine Pause einlegen.

Die Town Hall war lange Zeit das Rathaus von Wetherby. Da Wetherby inzwischen zum Verwaltungsbezirk von Leeds gehört, wird die Town Hall anders genutzt. Neben ein paar Büroräumen für den Stadtrat stehen die Räume für Kurse und Veranstaltungen zur Verfügung. Samstags findet die Antiques & Collectors Fair regelmässig hier statt.

Wetherby ist ein gutes Beispiel für eine alte englische Marktstadt, die ein Haupthaltepunkt auf der Great North Road zwischen London und Edinburgh bildete. Im 19. Jahrhundert konnten die Postkutschen im Schnitt nur 8 Meilen pro Tag bewältigen. Zwei Posting Houses, das Angel Hotel und das Swan & Talbot, dienten als Lieferort für Post sowie Wechselpunkt für Kutscher und Pferde. Stallungen hinter den Gebäuden, aber auch Schlafräume und das Inn waren für das Wohl der Gäste da. Von den damaligen 35 Pubs findet man heute nur noch einige. Swan & Talbot (34 North St), Black Bull (53 Market Place), Red Lion (19 High St)  sind noch einige der heute existierenden. Im Angel Hotel befindet sich heutzutage ein italienisches Restaurant (30 High St). Das Crown Inn steht leer und das Brunswick Hotel wird z.Zt. von einem Innenausstatter ausgebaut.

Der Wetherby Racecourse liegt am Rande von Wetherby. Pferderennen finden hier seit 1891 regelmässig statt. Die Rennbahn wird ausserhalb der Rennen für Veranstaltungen wie Konferenzen oder Feierlichkeiten vermietet. Einmal im Monat findet im Gebäude und bei gutem Wetter auch draussen die Antiques Fair statt. Jeden Sonntag und Dienstag gibt es auf einer Wiese neben dem Parkplatz den Car Boot Sale, ein Flohmarkt, bei der jeder aus dem Kofferraum seines Autos heraus und mit einem Stand seine Waren verkauft.

Wetherby hatte 1895 einen Bahnhof bekommen und wurde regelmässig angefahren. Es gab sogar einen Haltepunkt an der Rennbahn. Leider wurden etliche Bahnlinien in den 1960er-Jahren aufgrund von Sparmassnahmen in ganz England eingestellt. Die Linie, die durch Wetherby fuhr, war davon betroffen. Die alte Bahnlinie ist jetzt ein wunderschöner Spazierweg sowohl innerhalb Wetherbys wie auch entlang der Rennbahn.

Anfahrt
Wetherby ist sowohl mit dem Auto wie auch mit dem Bus gut zu erreichen. Die Stadt liegt an der M1 Autobahn. Mit dem Bus ist die Stadt aus verschiedenen Richtungen gut zu erreichen, z.B. mit dem X98/99 aus Leeds oder dem Bus 412 aus York.

Acknowledgement
Thank you to Victor Hawkins from Wetherby Historical Trust. Weitere Informationen gibt es bei der Wetherby Civic Society https://www.wetherbycivicsociety.org.uk/

Quellen:
Wetherby – Pocket Images, Wetherby & District Historical Society, 2007,
Nonsuch Publishing Ltd
Wetherby Through Time, Wehterby Historical Trust, 2013, Amberley Publishing
http://www.wetherbycivicsociety.org.uk
en.wikipedia.org